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LANDWIRTSCHAFT

Valle Varaita Trekking und mehr

herausgegeben von Michael Kleider

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castagneIn der traditionellen Berglandwirtschaft bildeten Ackerbau, Viehzucht mit Alpwirtschaft und die Kultivierung von Esskastanien die Hauptzweige der bäuerlichen Aktivität, außerdem gab es auf der Sonnenseite des Tales, bis in Höhen von 700-800 Meter, auch Weinbau. Dabei standen im unteren Talbereich die Esskastanien und der Ackerbau im Vordergrund, während die Viehwirtschaft bescheiden blieb. Als „Brot der Armen“ waren die Esskastanien ein wichtiges Grundnahrungsmittel, und Kastanienmehl wurde teilweise auch zum Brotbacken verwendet. Neben den Früchten lieferten die Bäume Laubheu für die Winterfütterung der Tiere sowie Brenn- und Bauholz. Pilze, die mit den Wurzeln der Bäume eine Symbiose bilden waren ein gern gesehenes, natürliches Zusatzprodukt (auch heute noch zahlreich und begehrt). Der hohe Wert der Kastanien schlug sich auch in der Besitzzersplitterung nieder, nach der sogar die Hauptäste einzelner Bäume unter verschiedenen Besitzern aufgeteilt wurden. In den 1960er Jahren befiel eine Krebskrankheit die Kastanienbäume, und die Früchte wurden für einige Zeit ungenießbar.

Hauptfrüchte des Ackerbaus waren der Roggen, der Mehl zum Brotbacken lieferte, Hülsenfrüchte, Mais und Kartoffeln (nach ihrer Einführung Anfang des 19. Jahrhunderts). Für den Ackerbau wurden an den steilen Hängen stets Ackerterrassen angelegt (zum Schutz vor Erosion und zur Vergrößerung der Anbaufläche), die oft mit Trockenmauern abgestützt wurden. Abgeschwemmte Erde wurde oft mühsam mit Körben wieder hoch auf die Felder getragen.

Selbst im oberen Talbereich wurde nicht auf den Ackerbau verzichtet, denn das Ziel der landwirtschaftlichen Tätigkeit war in der Regel die Selbstversorgung. Eventuelle Ernteüberschüsse wurden auf dem Markt getauscht oder verkauft (marktoffene Subsistenzwirtschaft). Gekauft werden musste in der Regel sehr wenig, die wichtigsten Grundnahrungsmittel – außer Öl und Salz – konnten selbst produziert werden. Und so reichte in den sonnenexponierten Gunstlagen der Ackerbau bis in Höhen von knapp 2000 Metern, wobei er stets in der Nähe der Dauersiedlungen (die hier in Gunstlagen bis 1800 Meter Höhe reichen) betrieben wurde, da er sehr arbeitsintensiv und von höchster Wichtigkeit für die Grundversorgung der Bevölkerung war.

Generell jedoch überwog im oberen Talbereich, wo weitläufige Alpgebiete das Landschaftsbild dominieren (zurückzuführen auf Rodungen, die der Mensch im Zuge der Siedlungs- und Nutzungserweiterung im Mittelalter durchführte) die Viehwirtschaft. Doch auch hier blieb die Zahl der Tiere überschaubar, denn es blieb das Problem der Winterfütterung. Die zur Verfügung stehenden Mähwiesen zur Heugewinnung waren begrenzt, denn die besten Flächen waren ja für den Ackerbau reserviert, und der Winter ist hier sehr lang. Ein zusätzliches Problem war die Lagerung des Heus, die Häuser im oberen Talbereich sind daher deutlich größer als im unteren Talbereich.

Daher wurden einige Alpgebiete, die im Besitz der Gemeinden waren, an transhumante Hirten verpachtet, die im Sommer mit großen Viehzahlen auf die alpinen Weiden zogen. Unter Mussolini wurde den französischen Hirten die Transhumanz verboten (aus Angst vor Spionage), und diese haben – im Gegensatz zu einigen piemontesischen Wanderhirten – die Transhumanz in diese Gebiete nie wieder aufgenommen.

Die traditionelle Landwirtschaft brach Anfang der 1960er Jahre mit der Einstellung des Ackerbaus zusammen. Nach und nach wurden auch die steilen Berghänge nicht mehr gemäht, und auch die Transhumanz ging schon seit dem Zweiten Weltkrieg stark zurück, weshalb zahlreiche Gias (so heißen hier die Alpflächen beziehungsweise die dazugehörigen Steinpferche oder Alpgebäude) nicht mehr bestoßen werden.  Die Nutzungseinstellungen führten zu einer Veränderung im Landschaftsbild: Die ehemaligen Ackerterrassen und aufgegebenen Weideflächen sind zum Teil schon stark verbuscht oder verwaldet, und die Kastanienwälder zum großen Teil verwildert. Generell schreitet der Prozess der Verbuschung in den unteren Tallagen deutlich schneller voran, und die ehemals sehr offene Landschaft weicht einer dichten Vegetation.

Dennoch sind überall im Tal noch die Relikte der ehemaligen Berglandwirtschaft zu sehen, wie zum Beispiel die ehemaligen Ackerterrassen mit ihren Trockensteinmauern, oder die Steinpferche der Alpen, wo die Tiere die Nacht verbrachten.

Heute spielt der Ackerbau kaum noch eine Rolle, lediglich auf einigen Äckern werden noch Kartoffeln (Bergkartoffeln haben eine hohe Qualität) oder (Heil-) Kräuter (zum Beispiel Genepy für die Herstellung von Verdauungslikör) angepflanzt. Es wird aber auch heute noch, im unteren Talbereich auf dem Gemeindegebiet Piasco, Costigliole Saluzzo und Verzuolo, an sonnenverwöhnten Hängen Weinbau betrieben. Aus den Trauben werden qualitativ hochwertige Rotweine unter dem Label „Colline Saluzzesi D.O.C.“ produziert.

Schon seit einigen Jahren gibt es eine Aufwertung der Esskastanie, die Politik hat mit Fördergeldern für den Kastanienanbau diese Entwicklung gezielt unterstützt. Mittlerweile werden wieder einige Kastanienhaine gepflegt, und es gibt Feste rund um die Esskastanie. In Venasca findet zudem ein sogar national bedeutender Esskastanienmarkt (La Castagna) statt.

Hauptzweig der heutigen Landwirtschaft ist jedoch die alpine Viehwirtschaft, die noch relativ ausgeprägt ist. Dabei sind die Viehzahlen der einzelnen Herden (Rinder und Schafe) meist groß, und die Hirten stammen oft aus Rumänien. Sogar die Transhumanz durch piemontesische Hirten besteht noch in geringem Umfang, aber die Tiere werden nicht mehr zu Fuß, sondern mit dem LKW auf die Weiden gefahren.

So werden heute noch hochwertige Fleisch- und Käseprodukte hergestellt, die zum Teil Eingang in die hervorragende örtliche Gastronomie finden, oder für den Direktverkauf an Touristen geeignet sind. Beispiele dafür sind der sehr geschätzte „Toma“ (ein halbfester Alpkäse), der „Tumin del Mel“ (Tomino di Melle/Frischkäse aus Melle), Wurst, Salami und Fleisch von der hier vorherrschenden Rinderrasse „Piemontese“, vom Schaf oder von der Ziege. Doch trotz dem Weiterleben einer marktorientierten Viehwirtschaft (allerdings mit weniger Tieren als früher) dürfen die Schattenseiten nicht aus den Augen verloren werden: Oft werden die besten Alpgebiete heute übernutzt, und somit langfristig geschädigt, während die weniger günstigen Gebiete (steiler, trockener, ohne Straßenanschluss) oft nicht mehr genutzt werden und zuwachsen.

Ein sehr positives Signal in jüngster Vergangenheit geht von einem Projekt der Universität Turin mit dem Namen „Azienda Naturale GESTALP“ aus, das die natürlichen endogenen Ressourcen des Tals, also Wasser, Holz, Weiden und Tiere auf umweltverträgliche Weise nutzen und vermarkten will. Das heißt Energiegewinnung mit Wasserkraft, Herstellung von Hackschnitzeln und Brennholz, sowie Fleischverarbeitung von gezüchteten und wilden Tieren im eigenen Schlachthaus. Seinen Sitz hat das viel versprechende „Laboratorio naturalistico Gestalp“ in Frassino, und beschäftigt derzeit 12 Personen. Es soll aber bis 2018 stückweise ausgebaut werden, um dann 22 Personen zu beschäftigen.   

Es bleibt zu hoffen, dass mit der Produktion hochwertiger Produkte, in Verbindung mit einer direkten Vermarktung an Touristen und die lokale Gastronomie, die Landwirtschaft in diesem Tal, und somit auch der Landschaftscharakter, erhalten bleibt.